Fröhlich soll mein Herze springen
Eine Liedpredigt für die Zeit von Heiligabend bis nach Epiphanias
Die Gemeinde singt die Strophen 1 bis 5
Wenn alle Geschenke verteilt sind, alle Päckchen ausgepackt und alles Spielzeug ausprobiert ist, dann bricht die Zeit an. Wenn alle Überraschungen gelungen sind, alle magischen Momente zelebriert und alle unvergesslichen Augenblicke ausgekostet und auf dem Smartphone verewigt sind, dann beginnt sie: die Zeit. Wenn alle Briefe geöffnet, alle Karten gelesen und alle Telefonate getätigt sind, dann kommt die Zeit. Wenn der Braten gegessen, alle Teller gespült und die Reste in den Kühlschrank gestellt sind, dann endlich ist sie da, die Zeit. Die Zeit, von der Paul Gerhard spricht. „Diese“ Zeit, da vor Freud alle Engel singen. Die Zeit, Atem zu schöpfen. Die Zeit, sich einmal hinzusetzen und tief Luft zu holen. Die Zeit, einen Spaziergang zu machen, über die Felder, durch den Wald. Die kühle Luft in den Bronchien zu spüren. Die Zeit, einmal allen Lärm hinter sich zu lassen. Die Zeit, in der sich die Stille ausbreitet. In der alles nachklingen kann. Die Worte. Die Melodien und die Bilder. Die Zeit, in der, wenn es still wird, die Luft um uns unmerklich zu singen anfängt.
Für die Menschen, die zur Zeit Paul Gerhards lebten, war die Stille eines der wenigen Güter, die sie hatten. Und natürlich waren in dieser Stille für sie die Stimmen zu hören, die Stimmen der Engel. „Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren.“
Nach dem Abend der Freude über die Geschenke, des Entzückens, vielleicht auch der ein oder anderen Enttäuschung ist es heute Morgen die einfache Fröhlichkeit, zu der uns Paul Gerhard mit seinem Lied einlädt. Die Fröhlichkeit der Weihnachtszeit, in der vieles anders ist. In der vieles bedeutsam wird. In der uns das Herz aufgehen soll.
Nicht wegen der vielen Dinge, die wir haben oder besitzen. Es ist eine Arme-Leute-Weihnacht, die Paul Gerhard besingt. Die Menschen in seiner Gemeinde hatten - nichts. Sie waren froh, einem langen und schrecklichen Krieg entronnen zu sein. Es gab wohl niemanden, der im Krieg nicht irgendjemanden verloren hatte. Die Familien waren zerstört, die Kinder traumatisiert, die Häuser aus Trümmern notdürftig wiederaufgebaut, die Fensterhöhlen leer und die Stuben dunkel. Unvorstellbar für uns: Licht war Mangelware. Kerzen? Waren unerschwinglich, gab es, wenn, nur in der Kirche. Geschenke? Das größte Geschenk war es, den Winter über genug zu essen zu haben.
Der Pfarrer Paul Gerhard sorgt sich um seine Gemeinde. Er fragt sich: Was gibt es in all diesem Elend, woran sich meine Gemeinde freuen könnte? Und er findet eine Antwort: Wenn Weihnachten ganz arm ist, ganz seiner übrigen Freuden entkleidet ist, dann steht das im Vordergrund, worum es wirklich geht. Es ist das Kind in der Krippe. Das wird Paul Gerhard besonders wertvoll. Und das macht er der Gemeinde, die mit ihm Weihnachten feiert, besonders wertvoll:
„Die Ihr arm seid, und elende, kommt herbei, füllet frei eures Glaubens Hände. Hier sind alle guten Gaben und das Gold, da ihr sollt euer Herz mit laben.“
Das ist das wahre Geschenk der Weihnacht: Gott gibt sich frei.
Es kostet nichts. Wir müssen nichts zahlen, nichts mitbringen,
nichts weggeben. Gott stellt keine Bedingungen. Er macht auch
keinen Unterschied zwischen arm und reich, zwischen klug und
töricht. Für alle ist er da. Alle dürfen ihn anschauen. Und
alle gleichermaßen bekommen etwas von ihm geschenkt. Etwas, das
allen fehlenden Reichtum aufwiegt. Etwas, das uns froh macht
wie ein Schatz. Etwas, das so wertvoll und so beständig ist wie
pures Gold. Es ist das Heil, das Gott uns schenkt. Es besteht
darin, er kommt zu uns. Ganz einfach er kommt zu uns und teilt
unser Leben mit uns.
Und wir dürfen zu ihm kommen.
„Ei, so kommt und laßt uns laufen, stellt euch ein, groß und klein, eilt mit großen Haufen. Liebt den, der vor Liebe brennet, seht den Stern, der euch gern Licht und Labsal gönnet.“
Wir sehen sie eilen, groß und klein, ärmlich gekleidet, humpelnd die einen, gebrechlich. Fröhlich hüpfend die Kinder. Sie kommen aus den Gehöften rings um die Kirche. Sie steht auf einer leichten Anhöhe und ihre Fenster sind schon von weitem zu sehen. Es sind die einzigen in der Gegend, die von Kerzen erleuchtet sind. Das Licht ist es, das die Menschen anzieht. Das Kerzenlicht, ja, doch mehr noch das Licht, das von der Krippe ausgeht. Das Kind, was dort liegt, ist mehr ist als nur ein Kind. Es ist Gott selbst. Er hat sich klein gemacht, um zu uns zu kommen. Von ihm geht das Licht aus, das unser Leben hell macht. Er ist der Stern, der über unserem Leben wacht. Der in der Nacht leuchtet. Der uns den Weg weist. Auf den wir zu gehen. Der uns Trost spendet.
Die Gemeinde singt die Strophen 6-9
Brauchen wir Trost? Brauchen wir Trost in dieser fröhlichen Weihnachtszeit, in der doch alles harmonisch sein soll? Freudig, glücklich. In der alles stimmen soll? Brauchen wir Trost?
Die Menschen damals brauchten ihn.
Sie hatten viel Schlimmes gesehen. Schreckliches. Sie hatten
Dinge miterleben müssen, die ein Mensch eigentlich gar nicht
aushalten kann. Irgendwann hatten sie begonnen sich hart zu
machen. Innerlich auf Distanz zu gehen. Zu sehen, aber nicht
mehr zu fühlen. Die Gefühle abzuspalten. Hier ist mein Ich.
Dort ist das, was gefühlt wird. Aber der, der fühlt, das bin
nicht ich. Das ist ein anderer. Nichts mehr spüren. Nichts mehr
empfinden.
Paul Gerhard ist Seelsorger und er weiß: Wenn ein Mensch nichts mehr fühlen will, wenn er die Trauer unterdrückt dann wird er bald auch die Freude nicht mehr empfinden können. Wenn ich versuche, den Schmerz einzukapseln, dann werde ich auch das Glück nicht mehr spüren. Vielen in seiner Gemeinde wird das so gegangen sein: Gefühllos, für Freude nicht mehr empfänglich, betäubt, nur noch in der Lage auszuhalten, mit dem Wunsch danach, das ganze hier soll möglichst bald ein Ende nehmen.
Wenn eine Liebe entzweigeht. Wenn Vertrauen missbraucht wird. Wenn Schwüre brechen. Wenn Kriege ausbrechen, in Familien oder zwischen Völkern. Wenn uns Schreckensbilder anstarren: Dann ist diese Welt manchmal einfach nicht mehr zum aushalten. Dann ist das, was geschieht, was ich mit ansehen muss, kaum noch zu ertragen. Auch in mir will sich dann etwas abkapseln. Es ist, als würde die Seele eine Blase bilden um das, was mir Qualen verursacht. Eine Blase, unter der heilen kann, was verwundet ist. Unter der sich taub anfühlt, was mir eigentlich Schmerzen machen müßte. Paul Gerhard weiß, für viele ist gerade die Weihnachtszeit eine Zeit der Erinnerungen. Eine Zeit der Wehmut. Eine Zeit, da bricht wieder auf, was ich versucht habe zu vergessen. Trotzdem macht er seiner Gemeinde Mut. Er macht ihr Mut, an die eingesperrten Empfindungen heranzukommen. Er macht den Menschen Mut, zu fühlen. Und endlich wieder – etwas Freude zu erleben.
Aber das Schlimme? Wo soll all das Schlimme hin? Wo sollen sie hin, die schrecklichen Bilder, mit denen wir uns im Namen der Wohlinformiertheit täglich belasten? Und wo soll der Schmerz hin, der tief in meiner Seele vergraben ist, den ich versuche, zu vergessen? Ganz behutsam nimmt Paul Gerhard die Seelen derer, die ihm zuhören, in die Hände. Ja, ihr seid beschwert im Herzen. Das gehört zu Weihnachten dazu. Ja, ihr empfindet Schuld, es kommt euch ganz nahe, wie ihr andere Menschen verletzt habt. Das gehört mit an die Krippe. Euer Gewissen plagt euch, eure Erinnerungen überkommen euch. Mit all dem seid ihr hier bei diesem Kind am richtigen Platz. Alles, was ihr mit euch tragt an Last, dürft ihr hier an der Krippe ablegen. Das Gotteskind in der Krippe nimmt es an, nimmt alles auf. Will es von euch nehmen. Nimmt es auf sich und will all eure Angst von euch nehmen. Die Angst, es könnte sich wiederholen, was euch so viel Schmerzen zufügt. Nein, das Kind will euch an einen Ort führen, wo euch kein Leid mehr etwas anhaben kann, wo kein Kreuz euch mehr belastet. Dieser Ort ist hier, hier im Stall. Stellt euch an die Krippe. Stellt euch zu dem Kind. Lasst los, was euch quält, lasst los, was euch fehlt. Schaut auf das Kind und betet. Betet: Lieber Herr Jesus, so vieles bringe ich mit, woran ich trage. Ich lege es bei dir ab. Ich bitte dich, dass du es annimmst. Ich vertraue darauf, dass es heil wird bei dir. Ich glaube fest daran, in deinen Händen wandelt sich alles Schlimme in Segen. Um diesen Segen bitte ich dich. Schenke ihn mir und allen meinen Lieben. Und ich bitte dich, in mir soll etwas Freude übrig bleiben, die Freude darüber, ich habe dich als meinen Heiland.
Was nun folgt, im Lied Paul Gerhards, im Weihnachtslied, ist tatsächlich reine Freude. Reine, verspielte, übermütige und verliebte Freude: Süßes Heil, lass dich umfangen. Ich will dich in meine Arme schließen. Und ich will dich ins Herze schließen.
Paul Gerhard entlässt seine Gemeinde mit einem guten Vorsatz. „Ich will dich mit Fleiß bewahren, ich will dir leben hier…“
Das, was ich hier an der Krippe gesehen habe, will ich behalten. Will ich hüten wie einen Schatz. Und das, was ich verstanden habe, werde ich nicht vergessen. Du, himmlischer Vater, bist für mich da. Du nimmst an, was ich mitbringe. Du nimmst von mir, was ich trage. Und all meine Last, wandelst du in Segen.
Und der Friede Gottes … Amen.
Die Gemeinde singt die Strophen 10-12