Gutes lesen

Gutes Lesen: Gedichte und Geschichten

Eine Weihnachtsgeschichte für Erwachsene

„Ich kann das Gerede von Frieden nicht hören. Das Gesinge von Freude erst recht nicht!“
Er ist Hirte auf den Feldern von Bethlehem, in einem ganzen Pulk unterwegs zur Krippe, obwohl er eigentlich gar nicht dahin will. Er hat den Hut tief ins Gesicht gezogen, keiner soll ihn erkennen.

Friede auf Erden, Freude, Wohlgefallen, das sind Worte, bei denen sich ihm der Magen zusammenzieht. Denn immer, wenn er so etwas wie Freude empfinden will, spürt er zugleich den Schmerz, einen Schmerz, den er beinahe nicht aushalten kann. Den Schmerz darüber, dass er seine Freude nicht mit denen teilen kann, an die er Tag und Nacht denkt und doch nicht denken will. Seine Frau, seine Kinder, die er zurücklassen musste, damals, als er mitten in der Nacht aufbrechen musste, Hals über Kopf das Dorf verlassen.

Friede, Freude, Wohlgefallen. Und dann sollte ein Kind geboren sein, soviel hatte er verstanden, von dem Engelsgeplärr in der Sprache, die nicht seine ist und wohl nie werden sollte. Ein neugeborenes Kind. Er sieht die Bilder vor sich, die er seit drei Jahren vergessen will. Seine drei Söhne, schlafend auf der Lagerstatt. Ihm war nicht einmal Zeit geblieben, seine Hände auf ihren Schopf zu legen für einen dürftigen Segen. Die Augen seiner Frau in der Tür, die ein viertes Kind im Leib trug, nicht einmal den Arm hatte er zum Abschied um sie legen können ...

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bildnachweis dank an hani parzadian auf unsplash